Die Studenten protestieren – ein nicht ganz ernst zu nehmender Beitrag:
In den letzten Wochen haben an verschiedenen Universitäten studierende gegen Bolognia demonstriert – auch ich erhielt ein Flugblatt zusammen mit der mündlichen Aufforderung zur Demonstration.
Ich fühle mich eigentlich nicht von negativen Reformen umgeben (ich weiss ja auch nicht, wie studieren vor Bologna war), deshalb kann ich die Proteste nicht kommentieren. Trotzdem nehme ich sie zum Anlass für ein kleines Gedankenexperiment* über die Schweizer Bildungslandschaft:
Hochschulabsolventenquote
In letzter Zeit wurden in den Medien vermehrt Rufe nach einer höheren Hochschulabsolventenquote in der Schweiz laut. Dies weil sie im Internationalen Vergleich doch eher tief liegt.
Gerade vorneweg: Ich denke, dass die Schweiz in diesem Bereich nicht ein Quotenproblem sondern ein Selbstwertproblem hat. Tatsächlich ist die Arbeitswelt und somit auch die Ausbildung einem stetigen Veränderungsprozess unterworfen, doch die anstehenden Probleme werden mit mehr Universitätsstudenten nicht gelöst.
Ich würde die Berufsausbildung in auf einer Achse** grob so darstellen: (natürlich wären auch noch andere Achsen denkbar)
Praxis | Theorie | |
Berufslehre |
Weiterführende Schulen—– —Höhere Fachschulen— ——Fachhochschulen |
Universität |
Dabei stellt diese Tabelle nicht ein besser/schlechter dar, sondern ein Aufteilen in Bereiche, die sich gegenseitig ergänzen.
Das die Berufslehren ein wichtiges Standbein der Schweizer Gesellschaft sind bezweifelt niemand. Die Exportstärke der Schweiz (insbesondere pro Einwohner, die Hafen- und Erdölstaten mal abgesehen) ist ein Resultat davon.
Auch die Universitäten der Schweiz sind gut. Doch gerade hier ist oft ein Selbstwertkomplex vorhanden. Letztlich bin ich auf folgende interessante Statistik gestossen: Verglichen wird die Zitierhäufigkeit von Publikationen gewichtet mit der Zitierhäufigkeit im jeweiligen Fachgebiet einer Universität. Dies sagt zwar nichts über die Lehre aus, doch dass starke Auftreten der Schweizer Unis zeigt, dass zumindest die Qualität der Forschung nicht so schlecht sein kann.
Der wichtigste Bereich ist aber die Mitte – und gerade hier sehe ich vielleicht am meisten Verbesserungspotential.
Warum ist jetzt eine höhere Universitätsabsolventenquote nicht immer besser?
- Weil es die Qualität der Unis gefährdet:
Nicht das nicht genügend Personen eine Theoretische Ausbildung absolvieren könnten, doch diese muss von der Wirtschaftsleistung eines Volkes getragen werden. Gibt es mehr Unistudenten, muss der Beitrag einer Universität zu Wirtschaftsleistung steigen. Das heisst, die Ausbildung muss schneller und konkreter vonstatten gehen (Bachelorabschluss?). Wenn aber eine Uni zur Berufsausbildungsinstitution wird ist das grundsätzlich kein Problem, es ist dann einfach keine Uni mehr.
Denn eine Uni definiert sich (meine Interpretation) über drei Aufgaben:
- Vorwärtstreiben der Theorie
- Ausbilden von Leuten, die die Theorie in die anderen 2 Bereiche weitertragen
- Ausbilden von Berufen, die sehr nahe an die Theorie gebunden sind.
Weil es aber Unis braucht, lasst uns doch einfach mehr Berufsausbildungsinstitutionen schaffen!
Was ist dann zu tun?
Ein erster Punkt ist sicher schon im bisherigen Text zur Geltung gekommen: Vermehrte Ausbildung im mittleren Bereich.
Ein zweiter Punkt ist der Zugang zum mittleren Bereich: (Dieser Abschnitt ist nur gerade ein spontaner Gedanken, nicht durchdacht.)
Im letzten Jahrzehnt wurde schon viel in diesem Bereich verbessert: Die Möglichkeit zum Wechsel zwischen den drei Bereichen.
Vielleicht müsste man am direkten Zugang noch etwas ändern, in etwa so:
Praxis | Theorie | |
Berufslehre I |
—Berufslehre II—
|
Gymnasium |
Fortbildung |
Weiterführende Schulen—– —Höhere Fachschulen— ——Fachhochschulen |
Universität |
Damit meine ich einen zweiten Typ Berufslehre der vielleicht aus 3 Tagen Schule und 2 Tagen Betrieb besteht. Somit könnte gezielter Ausbildung auf die Theorie (Mathematik-> Ingenieure, Sprache -> Lehrer, Wirtschaftslehre -> Managementschulen) der nachfolgenden Tertiärstufe gelegt werde.
Vorher habe ich im Zusammenhang mit der Berufsausbildung die starke Schweizer Exportwirtschaft genannt. Ein zweiter wichtiger Punkt dafür ist die Innovationskraft. Darum sollte die Innovation auf allen ebenen gestärkt werden. Ein Mittel dazu sehen ich in mehr Reputation von Innovation auch auf nichtuniversitätsstufe in den Medien.
Zusammenfassung
- Schwerpunkt der Entwicklung und höhere Absolventenzahlen sollte im mittleren Bereich stattfinden.
- Einige fordern mehr Hochschulabsolventen. Ich fordere mehr Ausbildung zur Innovation, und die findet auf allen Ebenen der Ausbildung statt.
Ach ja, und was machen wir jetzt für die Internationalen Rankings bezüglich der Hochschulabsolventenquote?
Ich finde das ein Lehreabsolvent den Titel „Junggeselle“ bei weitem und der Meisterprüfungsabsolvent den Titel „Meister“ offensichtlich verdient hat. Konkret fordere ich den Bachelor und Masterabschluss auch für Absolventen im praktischen Bereich. Erstens weil ich es nichts als konsequent finde, dass man ihn im 1. Bereich auch einführt, und zweitens, weil es zu einer stärkeren Gesellschaftlichen Anerkennung der Lehrberufe führt (Welche Hollywoodsche Medienbegriffswolke Highschool, Campus, College, Ranking etc etwas geschwächt wurde.)
Und eben, dass Hochschulabsolventenquotenproblem (welches ja rein eine Formsache ist) würde mit diesem Schritt (welcher ja auch rein eine Formsache ist) gelöst.
Somit:
- Nicht irritierenlassen von der Hollywoodsche Medienbegriffswolke Highschool, Campus, College, Ranking etc
* Dieser Begriff steht für folgende Gedankenkette: Deutsches Wort im englischen Wissenschaftswortschatz -> Bewussteres Aufreten des Mitteleuropäischen Dualen Bildungssystems 🙂
** Es ist mir klar, dass diese Unterscheidung manchmal schwierig ist. Z.b. Pädagogik: Theorie oder Praxis?
Danke für diesen interessanten Beitrag.
Des Weiteren, finde ich, muss bei internationalen Vergleichen auch mitgedacht werden, wieviele HochschulabsolventInnen nach Studienabschluss eine Anstellung finden. Darüber das BFS (Hochschulabsolventen und Hochschulabsolventinnen
auf dem Arbeitsmarkt; Erste Ergebnisse der Längsschnittbefragung 2009: Seite 10)
„2009, also fünf Jahre nach Studienabschluss, ist eine überwältigende Mehrheit der Hochschulabsolventinnen und -absolventinnen in den Arbeitsmarkt eingestiegen
(96,5%)“
Auch das Stichwort „Ausbildungsadäquanz“ (also, kurz gesagt, ob für die aufgenommene Erwerbstätigkeit ein Hochschulabschluss gefordert wurde) darf nicht übersehen werden: Dies war in der CH ebenfalls im Jahr 2009 bei 87,2% der Fall (vgl. ebd: 16f.)!
Für die CH heisst das laut meiner Interpretation, dass momentan die Wirtschaft durchaus Bedarf an Hochschulabsolventen hat.
Da vermögen bei Weitem nicht alle Länder mitzuhalten, die sich im Gegenzug mit hohen Hochschulabsolventenquoten brüsten. Einen Vorteil darin, dass man die besagte Quote auf 2/3 der Erwerbsbevölkerung anhebt und die Hälfte davon dann an Migros-Kassen sitzt, sehe ich beileibe nicht!