Studienbericht

„Oftmals wenn ich beim Eindunkeln im Uetliberg joggend die in den Himmel verschwindenden, rot-grün leuchtenden Flugzeuge beobachten konnte, sehnte ich mich danach, auch wieder einmal in die Ferne zu fliegen.“ Diesen Satz für meinen soeben begonnen Singapur Blog tippend, stieg ich spät Abends an einem kalten 7. Januar in einem Airbus A 340 im Himmel gegen Osten – der Traum war Wirklichkeit.
Ich hatte viele Erwartungen an diesen Austausch – einige wurden nicht erfüllt, aber doch ebenso viele übertroffen. Alles in allem war es ein sehr interessantes und erfüllendes halbes Jahr.

Von A wie Anmeldung bis Z wie Zeitpunkt

Anmeldung

Die Singapurer lieben Organisation – dies merkt man schon beim Anmelden. Wenn man Schritt für Schritt die Anweisungen befolgt, kann dabei nichts schief gehen. Die Anmeldung beginnt im Vergleich zu anderen Universitäten relativ kurzfristig. Sind die ersten Dokumente erst einmal gesendet, ist einfach der offizielle Einschreibetag in Singapur wichtig, welcher in der Woche vor Semesterbeginn stattfindet: Dort wird die ganze Anmeldung abgeschlossen, und falls man etwas vergessen hat, stehen die nötigen Dokumente – oder im Fall des Passfotos – der Fotograf bereit.

Einreise

Eingereist wird ganz normal als Tourist. Am Einschreibetag ist auch die Zollbehörde anwesend, und stellt einem ein für die Studienzeit gültigen „Students Pass“ aus. Dieser kommt einem Visum gleich. Etwa einen Monat vor Studienbeginn muss man dazu einige Onlineformulare ausfüllen.

Zeitpunkt

Ich habe für meinen Austausch das sechste Semester gewählt und das war sehr gut. Ich denke, dass man ab dem fünften Semester eigentlich die meisten Vorlesungen des Bachelorstudiums besuchen kann; auch die anspruchsvolleren Mastervorlesungen sollten möglich sein. Diese finden aber Abends oder Samstags statt. Ein Austausch während des Masterstudiums, eventuell verknüpft mit einer Arbeit, ist sicher auch eine gute Variante. Mit der Vorbereitung für den Austausch würde ich spätestens ein Jahr im voraus beginnen, damit z.B. die Fächerorganisation etwas abgestimmt werden kann, denn: Das Frühlingssemester dauert in Singapur von Anfang Januar bis Mitte Mai. Dank guter Zusammenarbeit mit der ETH konnte ich auch für den Ausfall der Winterprüfungssession eine gute Lösung finden: Mündliche Prüfungen wurden vorgezogen, schriftliche entweder zeitgleich in Singapur geschrieben oder erst in der Sommerprüfungssession absolviert. Für den zusätzlichen Aufwand wurde ich mit verlängerten Sommerferien belohnt 🙂.

Housing

Trotz frühzeitiger Anmeldung bekam ich kein Zimmer auf dem Campus. Auch via Warteliste war ich diesbezüglich erfolglos. Obwohl zuerst sehr enttäuscht, bezog ich nach langem hin und her die von der Universität angebotene Wohnung im YoHa@Commonwealth Hostel. Nebst Studenten aus anderen Universitäten wohnten um die 100 NUS-Austauschstudenten aus hauptsächlich Mitteleuropa und Asien in Wohnungen à vier Personen. Die Nähe zur MRT (Schnellbahn), die authentische Umgebung mit Essenständen und Einkaufszentrum, sowie die überschaubare Grösse lernte ich während des Aufenthalts zu schätzen. Zudem werden die Wohnungen von der NUS zu einem für Singapur konkurrenzlos tiefen Preis vermittelt; Wohnungen ausserhalb des Campus’ sind in Singapur sonst extrem teuer. Und als in der Mitte des Semester auch noch ein Shuttlebus organisiert wurde, welcher die Reisezeit zum Campus auf 20’ verkürzte, war die Situation annähernd perfekt. Der Nachteil, dass Nachts alle zwei Stunden ein Zug in ohrenbetäubender Lautstärke die lautstark quakenden Frösche konkurrierte und die Abwaschmaschine bei jedem Gebrauch Bad und Küche flutete, wurde durch die gemütliche Stimmung wettgemacht.

Fächerwahl

Es empfiehlt sich, schon bei der Anmeldung auf die Fächerwahl zu achten. Insbesondere bei nicht Engineering Fächer war es schwierig, via Add&Drop in den ersten drei Wochen noch für ein einfaches Erstsemesterfach (als GESS) zugelassen zu werden. Oftmals waren Kurse schon ausgebucht, und bei 800 Austauschstudenten sind die Departemente auch nicht unbedingt zu Ausnahmen bereit. Abmelden war kein Problem.

Schlussendlich habe ich folgende Fächer besucht:

  • EE4210 COMPUTER COMMUNICATION NETWORKS II
  • EE4401 OPTOELECTRONICS
  • EE4411 SILICON PROCESSING TECHNOLOGY
  • EE4415 INTEGRATED DIGITAL DESIGN
  • HY1101E ASIA AND THE MODERN WORLD

Während dem Semester empfand ich den Aufwand für fünf Vorlesungen ganz in Ordnung, die Prüfungszeit war dann aber eher stressig. Möchte jemand gerne viel Reisen, was ich sehr empfehlen kann, würde ich nicht mehr als vier Vorlesungen besuchen.
Es gibt keine so praktische Internetseite wie das Vorlesungsverzeichnis der ETH, doch folgende Seiten haben mir geholfen:

Unterricht

Gesamthaft gesehen ist das Studium ähnlich schwierig wie an der ETH. Der Aufbau und die Gewichtung sind aber anders. Die zentrale Idee des vierten und letzten Studienjahres liegt darin, Verständnis verschiedener Technologien, deren Anwendungen sowie Kenntnis ihrer Vor-&Nachteile zu vermitteln. Zu den Inhalten während des Semesters gehören nebst dem Frontalunterricht ein bis drei Laborexperimente, wo man anschliessend ein sehr ausführlicher Bericht mit Antworten auf Fragen zu erstellen hat. Anstelle von Übungsserien gibt es Tutorials, welche aber einen deutlich weniger wichtigen Stellenwert haben als an der ETH. Nebst den Berichten machen Zwischentests bis zu 50% der Endnote aus. Bezüglich der Noten herrscht starkes Wettbewerbsdenken, allgemein sind die Studenten meist sehr motiviert.
Labors sind – sofern man sie findet – gut ausgerüstet. Unterschiedlich zur ETH ist, dass selbst in Engineeringvorlesungen die Geschlechterverteilung annähernd ausgeglichen ist.
Der grundsätzliche Aufbau des Studiums wird im NUS Bulletin beschrieben.

ETH

Die Zusammenarbeit mit der ETH hat hervorragend geklappt. So wurde es mir ermöglicht, eine Prüfung der Wintersession zeitgleich in Singapur zu schreiben. Die Fächeranerkennung ging zügig, das Semester wurde mir vollständig angerechnet.

Leute

Leider war es im Rahmen der Vorlesungen etwas schwierig, mit den lokalen Studenten in Kontakt zu treten. Sie sind fleissig – viel Zeit ins Studium zu investieren ist Teil ihrer Identität. Somit könnte es sein, dass der eher etwas legere Austauschstudent nicht so in ihr Weltbild passt. Doch es gab viele andere Möglichkeiten zum Austausch, so z.B. in den unendlich vielen Sportangeboten auf dem Campus.

Campus

Ist sehr gross. Überall hat es gedeckte Wege, welche von Gebäude zu Gebäude führen. Da sie über Hügel und durch Wälder führen, kann dabei schon ein wenig „Masoala-Stimmung“ aufkommen. Verstreut gibt es sehr viele Essenstände, von denen einige gutes Essen zu einem sehr günstigen Preis (CHF ~2) anbieten.

Leben

In Singapur ist immer etwas los –Singapur ist in Bewegung. Traumstrände gibt es zwar keine in Singapur, doch kann auch eine künstliche Insel (Sentosa) diesbezüglich lustig sein. Und wer nicht so gerne im Meer mit Aussicht auf hundert Frachtschiffe badet, kann sich mit Wakeboarden im künstlichen See versuchen – Attraktionen bietet Singapur viele.

Unternommen wurde vieles zusammen mit anderen Austauschstudenten. Zu den Hauptbeschäftigungen des Austauschstudenten gehört nämlich Ausgang, Reisen vorbereiten und das Reisen selbst.

Und auch unsere „fast-ETH-Aussenposten-vierer-WG“ steuerte via gemütliches Diskutieren, Ausgang organisieren und gemeinsamen Ferien machen einen grossen Teil zum gelungenen Aufenthalt bei.

Budget

Das ganze Abenteuer kostete mich inklusive einiger Reisen und Flug um CHF ~8000.

Wetter

Da Singapur auf dem Äquator liegt, ist es immer angenehm warm. Heiss ist es nicht, dafür ist es zu bewölkt. Aber die Luftfeuchtigkeit ist enorm hoch. Wenn nicht gerade einer der häufigen, starken Regenschauer einsetzte – warum sonst sind viele Trottoirs gedeckt und Regenschirmautomaten überall vorhanden – konnte ich meine Wäsche von Mitternacht bis am Morgen trockenen lassen…

Highlights

Zum Schluss möchte ich kurz die Highlights dieses Austauschs zusammenfassen:

  • PADI Open Water Tauchkurs in Malaysia – sehr gut vom NUS Diving Club organisierter, absolut faszinierender Kurs.
  • Trekkingwoche auf Mt. Rinjani in Indonesien – auch darum sehr interessant weil die Austauschstudenten deutlich in der Minderheit waren.
  • Reise nach Kambodscha, inkl. Angkor Wat, S21 und Traumstrand.
  • Zeit in der International Friendship Group auf dem Campus – kennenlernen von Leuten aus Malediven, Somalia, etc
  • Auf dem Campus bei 32° zwischen den Vorlesungen eine Abkühlung im 50m Pool geniessen.
  • Der Fruchtsaftstand in der Techno-Edge-Cantine. Ich habe bestimmt über 100 frisch gepresste Juices a S$ 1.40 konsumiert.
  • Geschichtsvorlesung über „Asien und die Moderne Welt“.

Da mein Aufenthalt so faszinierend war, könnte ich für diesen Bericht Seiten schreiben. Zwecks Übersichtlichkeit habe ich mich jedoch auf die wichtigsten Informationen beschränkt. Wer gerne wissen möchte, wohin alle meine Reisen führten, was ich bezüglich Fächerwahl empfehle, warum ich anfangs Semester fünf Tage in Singapur mit 30 Kg Gepäck umherirrte oder warum ich im Mai mehrmals täglich Fieber messen musste (Schweinegrippe), findet all dies in meinem Blog den ich während dieser Zeit erstellt habe.

Singapur ist westlich? – überhaupt nicht. Während meines Aufenthalts in Singapur durfte ich mit Faszination feststellen, dass mein so gewohntes westliches Weltbild nicht überall als Selbstverständnis gilt – und sicher bevölkerungsmässig keine Mehrheit darstellt. Mehrheitlich wird Singapur von chinesischen Einwanderern bewohnt; doch von muslimischen Ländern umgeben, von vielen indischen Arbeitern besucht und vom Welthandel durchströmt, stellt es ein einzigartiges zusammenkommen von verschiedenen Kulturen dar, und hat darin als junger Staat seine ganz eigene Identität entwickelt.
Sicher gibt es Gebiete, in denen Singapur sehr westlich ist – so beispielsweise der Campus. Doch Singapur ist nicht westlich, Singapur ist modern.

Fragen werden unter simonch(at)ee.ethz.ch gerne beantwortet.

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